Леся Українка – Ein Brief ins Weite

Sie werden gewiss diesen Brief nie zu lesen bekommen, und sollt’ es auch geschehen, was ich nicht glauben kann, so konnten Sie jedenfalls nicht wissen, von wem und an wen das Schreiben ist. Wozu n? tzt solch’ ein Brief? Wirklich, das weiss ich selber nicht und grade jetzt hab ich gar keine Lust danach zu gr? beln. Zu solchem Handeln sagt man franz? sisch: “c’est plus fort que moi”. Je nun: “c’est plus fort que moi” eben das Verlangen, Ihnen einen Brief in die unbekannte Weite zu schicken.

Ich weiss Ihren Namen nicht und werde vermutlich ihn nie erfahren. Wir begegneten uns auf einer Seefahrt – f? r mich war es eine Fahrt in die Fremde, f? r Sie eine Heimkehr; der Weg war doch derselbe, wir waren ganz wie die zwei Wellen, die eine Weile beisammen fliessen, dann kommt irgendwelches Hindernis, ein Schiff, ein Stein: die Wellen werden geschieden, auf immermehr, denn sie versuchen niemals sich wiederzufinden, nichts treibt sie dazu.

So ist es mit uns.

Ich m? chte wohl wissen, ob Sie sich noch erinnern an unser erstes und letztes Begegnen? Gott weiss warum, ich kann es niemals vergessen, obgleich eine Menge von solchen zuf? lligen Reisebekanntschaften mir seitdem v? llig aus dem Ged? chtnisse gekommen sind. Oft stell’ ich mir Ihre Gestalt vor; der Kopf immer etwas nach vorn geneigt, Ihren ernsten Blick, Ihre Stimme, rein, doch nicht grell, vielleicht ein bischen dumpf. Ihre Gestalt bewegt sich jetzt vor meinen geschlossenen Augen in einer fernen Perspektive, und doch erscheint sie mir immer lieb, fein und ausgepr? gt, gleich jenen Photograv? ren, die wie eine Nadelradierung scheinen; so sieht man durch ein Opernglas, aber wenn man dasselbe umgekehrt h? lt. Ich kann es mir selber nicht erkl? ren, warum ich Sie immer auf diese Weise sehe, aber ich kann Sie mir anders nicht vorstellen.

Ich erinnere mich ganz genau, wie Sie zum erstenmale sich mir n? herten. Sie batten bemerkt, dass ich nur mit grosser M? he mein Gleichgewicht behielt und zuletzt war ich schon im Begriff zu Boden zu fallen, das Schiff schaukelte gar

zu stark! Sie haben mir damals Ihre Hilfe angeboten und so gingen wir den ganzen Nachmittag, auch den Abend, Arm in Arm.

Es ist ja nichts besonderes, dass man einer schwindligen Person die Hand reicht, jedoch geschieht dies nicht immer, und nur selten in Ihrer Art. Kaum batten Sie mir den Arm gegeben, so hatte ich das Gef? hl, als w? ren wir schon mehrmals mitsammen gewandelt. Es wunderte mich nicht im mindesten, dass Sie auf dem schaukelnden Verdekke so ganz ausgezeichenet zu balancieren verstanden, dass Ihr Arm mir zur besseren St? tze ward, als die Eisenrampen der Treppen, mir schien, ich w? sst’ es l? ngst. Sie liessen mich nicht einmal allein gehen, und wenn ich schwankte, da zuckte Ihr Arm rasch hinauf, Sie schauten mir besorgt zu und sagten mit leisem Vorwurf: “Ich bitte Sie, halten Sie sich fester an meinen Arm!” Und waren wir an eine Bank gekommen, wo ich sitzenblieb, da entfernten Sie sich, oder blieben auch bei mir stehen, je nach Belieben, und wir unterhielten uns.

Sie benahmen sich? berhaupt ganz unbefangen, ganz frei von jener faden, gezwungenen H? flichkeit, die den M? nnern Frauen gegen? ber ziemlich eigen und mir schier verhasst ist. Sie glaubten nicht im mindesten eine Unh? flichkeit begangen zu haben, indem Sie, anstatt mich zu unterhalten, die H? nde auf dem R? cken gefaltet, herumgingen, das Verdeck entlang. Ich habe oft bemerkt, dass Sie in Gedanken, vielleicht auch in Sorgen, vertieft waren und ich st? rte Sie niemals dabei mit meinen Reden.

Manchmal, jedesmal unerwartet, blieben Sie vor mir stehen mit irgend einer Frage oder Bemerkung und sogleich war eine Unterhaltung angekn? pft. Ich habe alle diese Reden ganz gut im Ged? chtnis behalten, aber ich will sie nicht hier abschreiben, es ist langweilig das einmal Ausgesprochene zu wiederholen, es kommt mir wie ein Diktat vor.

Ja, ich erinnere mich an unser letztes, langes Gespr? ch, als ich da an den Bord gelehnt stand und ins dunkle, chaotische Meer hinunterguckte und davon sprach, was mir ebenso dunkel und chaotisch wie jenes Meer erschien. Wir sprachen uber ein grosses Problem, eine “grosse Fatalit? t”… Sie sprachen immer ernsthaft, nicht einmal sah ich Ihnen die leiseste Absicht an, mich h? nseln zu wollen, auch machten Sie keinen Teegesellschafts-Witz. Es glich vielmehr einer Konferenz. Sie diskutierten immer ruhig, ich aber f? hlte meine Augen leuchten und mein Gesicht brennen, ich beugte mich so tief? ber Bord, dass der salzige Wasserstaub vom Rade mir ins Gesicht flog und frischer Nachtwind mein Sommerkleid durchdrang und mich zittern machte. Das merkten Sie bald und ich sah wieder die freundliche Sorge {n Ihren Augen; Sie machten unserem Dialog gleich ein Ende, so ganz rasch ohne weiteres. Sie sagten bloss: “Sie sind m? de, Sie frieren, ich will Sie lieber nach Ihrer Kaj? te begleiten. Geben Sie mir die Hand und halten Sie sich, um Gotteswillen, fest”.

Da unten, an der Schwelle der Kaj? te, reichten wir uns zum Abschied die H? nde. Damals m? chte ich so gern zu Ihnen gesagt haben: “Danke, mein Freund!” aber ich sagte nur das erste Wort und das war alles. Sie liefen schnell und behend die Treppe hinauf und verschwanden im Dunkeln. – Wir sprachen uns nie wieder.

Am n? chsten Morgen sah ich Sie einmal am entfernten Ende des Dampfers stehen, Sie aber sahen mich nicht und es kam nicht zu n? herem Begegnen.

Wenn wir an den Hafen gelangten, wo Sie aussteigen wollten, wollte ich Sie finden, um Ihnen noch einen Abschiedsgruss zu sagen, aber Sie waren in der Menge verloren und ich vermochte Sie nicht zu erspahen.

Seitdem haben wir uns nie wieder gesehen und, glaub1 Ich, werden uns nie sehen. So ist es vielleicht besser.

Ein andersmal k? nnten wir uns in ganz anderer Stimmung finden, und dieses zweite Begegnen k? nnte uns nur den guten Eindruck des ersten verderben. Vielleicht waren Sie jenes Abends, als Sie mit mir sprachen, ganz besonders gelaunt, wie Sie nur selten sind. Auch ich k? nnte zum zweitenmal Ihnen ganz anders erscheinen, langweilig und kaum beachtenswert. Dann h? tten wir nur zu bedauern, wozu hat uns der Zufall wieder zusammengef? hrt?!

– Mag sein; ich lass’ es theoretisch zu.

Und dennoch, wenn ich Ihrer gedenke und sehe Gestalt in ferner Perspektive, dann m? chte ich so gem zu Ihren sagen: “Danke, mein Freund!” – und es tut mir wirklich leid, dass Sie es nicht horen k? nnen.


1 Star2 Stars3 Stars4 Stars5 Stars
(1 votes, average: 5,00 out of 5)



Твір чим для мене є моя сім'.
Ви зараз читаєте: Леся Українка – Ein Brief ins Weite
Copyright © Українська література 2023. All Rights Reserved.